In kaum einem Bereich der Milchviehwirtschaft ist solch eine Fülle an betriebsindividuellen Lösungen und
Philosophien etabliert, wie in der Kälberaufzucht, wobei auch die Meinungen von Experten, Handel und Beratung
häufig in unterschiedliche Richtungen verlaufen.
Welche dieser Lösungen unter Praxisbedingungen zu den besten Ergebnissen führt, war von Mai bis Juli 2020 die Kernfrage, die wir in Zusammenarbeit mit Frau Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge in einer Praxisstudie unter-sucht haben. In diesem Zeitraum fand eine Datenerhebung bei 39 Milchviehhaltern innerhalb Schleswig-Holsteins statt (Übersicht 1).
Übersicht 1: Charakteristik der 39 Milchkuhbetriebe
Merkmal
Mittelwert
Standardabweichung
Minimum
Maximum
Kühe je Betrieb
263
154,23
100
830
Laktationsleistung, kg Milch
10.041
1.042,70
8.200
13.600
Fett, %
3,98
0,21
3,3
4,5
Eiweiß, %
3,43
0,15
3,2
3,9
Laktationsleistung, kg ECM
10.041
952,62
8.200
13.057
Anzahl an Laktationen
3,1
0,78
1,6
5,1
Remontierung, %
31,3
5,85
17
41
EKA, Monate
26,2
1,52
22
31
Kälberverluste, %
5
2,85
0,6
12
Quelle: LKV-Herdenvergleich, 2020
Hierbei wurden die Haltungsbedingungen, sowie die Gewichte der weiblichen Nachzucht ab dem 14. Lebenstag bis zum Absetzen von der Milch erfasst. Die Vorauswahl der Betriebe basierte auf der Aufgeschlossenheit der Betriebsleiter/-innen gegenüber der Mitwirkung an dem Projekt. Im Zeitraum der Datenaufnahme konnten durch den zweimaligen Besuch der Betriebe insgesamt 1.340 Tiergewichte mittels Einzeltierwaage erfasst werden und flossen in die sich anschließende Auswertung ein. Als Bewertungskriterium für die Leistungen der Kälberaufzucht wurde die Lebendmassezunahme (LMZ) der Kälber ermittelt. Da keine tierspezifischen Geburtsgewichte vorlagen, ist jedem Tier ein Geburtsgewicht von 42 kg unterstellt worden. Die im Durchschnitt 52 Tage alten Kälber erreichten eine mittlere LMZ von 676 g/Tag. Hierbei reichten die Schwankungen zwischen den Betrieben von 438 bis 1.002 g LMZ.
Gute Kälber, gute Kühe
Bei der Klassifizierung der Betriebe nach ihrer Herdenleistung zeichnete sich bei jenen mit einer Herdendurchschnittsleistung von mehr als 10.000 kg sowohl ein signifikant geringeres Erstkalbealter (EKA) der Färsen als auch eine tendenziell höhere LMZ bei den Kälbern ab (Übersicht 2).
Übersicht 1: Charakteristik der 39 Milchkuhbetriebe
Anzahl Milchkühe/ Betrieb
Herdenleistung, kg ECM/Kuh
EKA, Monate
Kälberverluste, %
Alter der Kälber bei der Wägung, Tage
LMZ der Kälber bis zum Wiegedatum
< 10.000 kg Herdenleistung (18 Betriebe)
Mittelwert
266
9.258
26,7a
5,1
54
654
Standartabweichung
176,01
551,81
1,46
3,01
9,76
143,58
> 10.000 kg Herdenleistung (21 Betriebe)
Mittelwert
261
10.712
25,8b
4,9
51
694
Standartabweichung
137,29
663,68
1,5
2,78
10,42
101,69
unterschiedliche Hochbuchstaben kennzeichnen Signifikanzen von p < 0,05
Wir wissen was wir tun
Im Zuge der Befragung sind die Betriebsleiter/-innen gebeten worden ihre innerbetriebliche Kälberaufzucht anhand von Schulnoten selbst einzuschätzen. Wie in Übersicht 3 deutlich zu er-kennen, besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen eben dieser Selbsteinschätzung und der erreichten LMZ der Betrieben. Diese Unterschiede zwischen den Gruppen „gut“, „befriedigend“ und „ausreichend“ erwiesen sich als hoch signifikant.
Übersicht 1: Charakteristik der 39 Milchkuhbetriebe
Selbsteischätzung der Kälberhalter, Note
Anzahl an Betrieben
Ø LMZ
Standartabweichung
sehr gut
1
1.002
-
gut
19
721a
88,96
befriedigend
14
644b
99,83
ausreichend
4
541b
100,63
mangelhaft
1
480
-
unterschiedliche Hochbuchstaben kennzeichnen Signifikanzen von p < 0,05
Angaben zur Milchtränke
Ein weiterer Punkt der Befragung umfasste die Milchfütterung der Kälber. Hier gaben sechs der 39 Betriebsleiter/-innen an, ihren Kälbern unmittelbar nach der Geburt mehr als 4 l Kolostrum zu tränken. Weitere 20 Betriebsleiter/- innen nannten 3 bis 4 l und bei neun wurden weniger als 3 l vertränkt. Auf drei Betrieben wurde die Kolostralmilchgabe dem Muttertier überlassen. In diesem Zusammenhang zeichneten sich mit höheren Gaben an Kolostrum auch höhere Tageszunahmen auf den Betrieben ab (Übersicht 4).
Übersicht 4: Zusammenhang zwischen der Kolostralmilchversorgung und der Lebendmassezunahme der Tränkekälber
Erstkolostrummenge je Kalb
Anzahl an gewogenen Kälbern
LMZ
Ø
Standartabweichung
Ausschließlich bei der Mutter
67
619a
187
< 3 l
310
595a
224
3 l bis 4 l
771
700b
223
> 4 l
1
740c
226
unterschiedliche Hochbuchstaben kennzeichnen Signifikanzen von p < 0,05
Im Anschluss an die Biestmilchphase setzten 14 Betriebsleiter/-innen auf eine ad libitum Versorgung ihrer Tiere mit Milchprodukten. Auf dem Großteil der Betriebe wurden die Kälber restriktiv mit Milch versorgt. Hierbei meistens mit 6 bis 8 l je Kalb und Tag (Übersicht 5).
Übersicht 5: Prozentuale Verteilung der ad libitum und der restriktiv tränkenden Betriebe sowie deren Tränkemenge
Bei dem direkten Vergleich der LMZ der ad libitum beziehungsweise restriktivgetränkten Kälbern zeigte sich mit hoher statistischer Signifikanz eine Differenz von 94 g/Tier und Tag. Die mittlere LMZ der 374 ad libitum getränkten Kälber lag bei 744 g/Tag. Die der 966 restriktiv getränkten Tiere nur bei 650 g/Tag.
Unter Annahme einer thermoneutralen Umgebung und Berücksichtigung dieser Tageszunahme von 650 g wäre hierfür eine Energiemenge von mindestens 20 bis 21 MJ ME (Proc. Soc. Nutr. Physiol. 1997; GfE 1995: 18,8 MJ ME für 600 g LMZ) notwen-dig. Das entspricht, je nach Fett- und Eiweißgehalt der Vollmilch, einer Menge von 8 bis 8,6 l Vollmilch (Vollmilch mit 12,7 % TM und 19,2 MJ ME/kg TM, 2,44 ME/Liter) oder aber zirka 1.350 bis 1.500 g Milchaustauscherpulver je Tag. Letzteres wären bei einer Milchaustauscherkonzentration von 160 g/l etwa 8,5 bis 9,4 l Milchaustauschertränke. Allerdings sind nur auf 8 % der Betriebe mehr als 8 l je Kalb und Tag verfüttert worden. Ferner gaben 12 % der Betriebsleiter/-innen an lediglich 4 l am Tag zu ver-tränken. Hier gilt es zu betonen, dass eine derart niedrige Tränkemenge nicht mehr als den Erhaltung-sbedarf des Tieres abdeckt!
Quelle: Callsen 2021
Betreuung der Kälber
Welchen Einfluss der Mensch selbst auf das Wachstum der Kälber hat, zeigten die signifikant höheren Tageszunahmen der 1.006 Tiere, welche von einer festen Person betreut worden sind (688 g/Tag). Die 312 Kälber von Betrieben, bei denen die Kälberhaltung in einen wechselnden Zuständigkeitsbereich fällt, erreichten nur 638 g LMZ. Erklären lässt sich dieser Einfluss durch ein gleichmäßigeres Fütterungsmanagement, eine wahrscheinlich genauere Beobachtung der Kälber und ein höheres Spezialisierungsmaß der jeweiligen Fachkraft.
Lieber drinnen oder draußen?
Werden alle Kälber, die ab dem 14. Lebenstag bzw. der ersten Umstallung in Außenklimaställe zusammen betrachtet, ergibt sich für diese Tiere eine durchschnittliche Tageszunahme von 704 g je Tier und Tag. Diese unterscheiden sich statistisch höchst signifikant von Tieren mit einer LMZ von 654 g, welche in geschlossenen Ställen gehalten worden sind. Dieses Ergebnis ist zu erwarten gewesen, da sich frische Luft und Tageslicht bekanntlich positiv auf die Entwicklung junger Kälber auswirkt. Dennoch verwunderte es, dass auf fast der Hälfte der Betriebe die Tiere in geschlosse-nen Ställen gehalten worden sind.
Fazit
Die Gewichtsentwicklung von Kälbern wird immer multifaktoriell beeinflusst. Daher ist es kaum möglich, hierfür nur einzelne Faktoren verantwortlich zu machen. Insofern können die Kriterien, nach denen die Kälber in dieser Studie ausgewertet und verglichen wurden, auch nicht zwangsläufig für die gezeigten Unterschiede ursächlich verantwortlich gemacht werden. Vielmehr zeigen die Vergleiche, dass Betriebe, die sich intensiv mit ihrer Kälberhaltung auseinandersetzen, ein sehr gutes und besseres Ergebnis bei der Entwicklung ihrer Kälber erreichen. Darüber hinaus offen-bart diese Studie, dass die seit mehr als 15 Jahren wissenschaftlich bearbeitete und empfohlene ad libitum Tränke beziehungsweise sehr intensive Tränke von kleinen Kälbern bei weitem nicht flächendeckend in der Praxis umgesetzt wird. Infolgedessen zeigen die ermittelten Lebendmassezunahmen der Tränkekälber, dass in vielen Betrieben in diesem Bereich noch erhebliche Poten-ziale genutzt werden können.